Weil sie gegen Zwangsräumung demonstriert hat, soll junge Frau ins Gefängnis
Von Carmela Negrete
Weil sie mit einer Sitzblockade im Madrider Stadtviertel Manoteras gegen die Zwangsräumung einer Wohnung protestiert hat, soll die 25jährige Patricia Toledo für drei Jahre ins Gefängnis. Das hat die spanische Staatsanwaltschaft im Verfahren gegen die junge Frau beantragt.
Mit der Sitzblockade sollte die Vertreibung einer Familie verhindern werden. Diese bestand aus einer 87jährigen Frau, ihrer Tochter und deren drei Kindern, die in einem Haus lebten, das der städtischen Madrider Wohnungsbaugesellschaft EMVS gehörte. Die Familie hatte die Raten für ihren zur Finanzierung der Unterkunft aufgenommenen Kredit immer bezahlt, doch 2009 verlangte die Bank einen Aufschlag von 49000 Euro zusätzlich. Das konnte die Familie nicht aufbringen, und prompt leitete die EMVS die Vorbereitungen für die Zwangsräumung ein.
Dagegen protestierte die Plattform der Hypothekenopfer (PAH), in der sich zahlreiche Betroffene von ähnlichen Vorgängen zusammengeschlossen haben. Zusammen mit zahlreichen Nachbarn setzten sich die Mitglieder der PAH vor den Hauseingang, um die Vertreibung der Familie zu verhindern. Die Polizei räumte die Sitzblockade, die Aktivisten wurden grob weggezerrt. Zahlreiche Journalisten waren Zeugen des Ablaufs, und sie berichteten übereinstimmend über einen friedlichen Protest der Nachbarn, der die Räumung nicht verhindern konnte. Zahlreiche Videos im Internet bestätigen diese Version ebenso. Im Gespräch mit dem Internetportal 20minutos.es erinnerte sich Patricia: »Wir haben uns in den Hauseingang gesetzt und uns gegenseitig eingehakt. Das war eine Aktion passiven, nicht aktiven Widerstands. Die Polizei hat uns gewarnt und dann einen nach dem anderen an Armen und Beinen weggezogen. Anschließend verlangten sie von einigen die Personalausweise. Wir riefen Parolen, mehr war nicht. Ich habe anschließend kurz eine Bar besucht, um etwas zu trinken, und bin dann nach Hause gegangen.«
Noch am selben Abend nahmen mehrere Beamte Patricia in ihrer Wohnung fest. Sie habe während der Aktion einem Polizisten den Arm gebrochen, erklärten die Polizisten zur Begründung. Die junge Frau wurde zur Vernehmung auf die Wache gebracht und bis zum Nachmittag des folgenden Tages festgehalten. Auf den Internetvideos ist hingegen von einem solch dramatischen Zwischenfall nichts zu erkennen. »In einer Aufnahme ist sogar zu sehen, wie sich der angeblich angegriffene Beamte mit dem verletzten Arm die Nase putzt«, erklärte Patricias Verteidiger Eric Sanz im Gespräch mit der Zeitung Diagonal. Auch die von der Polizei vorgelegten Arztberichte widersprechen sich. Während ein Mediziner bei dem Beamten lediglich eine Prellung feststellte, diagnostizierte ein anderer einen kompletten Bruch.
Sollte Patricia wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verurteilt werden, drohen ihr nicht nur drei Jahre Gefängnis, sie soll dem Beamten auch eine Entschädigung von 8900 Euro zahlen. Hinzu kommen die horrenden Anwaltskosten, denn seit März gibt es aufgrund einer von der Regierung durchgesetzten Gesetzesänderung praktisch keine öffentliche Prozeßkostenbeihilfe mehr. Doch Patricia ist nicht allein. Ihre Nachbarn haben einen Solidaritätsfonds eingerichtet, um die Kosten des Verfahrens und eine eventuelle Geldstrafe zu bezahlen.
In Madrid wird vermutet, daß der Prozeß gegen Patricia eine Warnung an die PAH sein soll. Diese Bürgerbewegung ist über die Grenzen Spaniens hinaus bekannt geworden, weil sie immer wieder Proteste organisiert. So wurden allein im Jahr 2012 exakt 30034 Erstwohnungen geräumt, alle 15 Minuten eine. Den betroffenen Familien wurden keine Alternativen angeboten, während in dem südeuropäischen Land zugleich rund 3,4 Millionen Wohnungen leerstehen, die während des Immobilienbooms errichtet wurden.
http://www.jungewelt.de/2013/12-03/033.php