Der Chocolatier will keine Gammelfrucht
24.07.2013 · Kakaopflanzen sind anspruchsvoll: Durchlässiger Boden, gleichmäßige Temperaturen, ein bisschen Schatten bitte schön und regelmäßiger Schnitt wären gut. So entsteht bester Edelkakao.
Von ANDREA DIENER
Das soll jetzt eine Kakaoplantage sein? Es sieht eher aus wie ein wilder, tropischer Wald, wie er quadratkilometerweise die dominikanischen Berge begrünt, durchschnitten von wenigen Straßen und bewohnt von wenigen Menschen in bunten Holzhäusern, die sich dörfchenweise ins Dickicht würfeln. Unten wuchern dicke Büsche, oben ragen Palmen, Edelgehölze und Mangobäume heraus. Dazwischen verschlammen Wege im Dauerregen, aber da müssen wir durch, denn wir wollen ja wissen, wo hier in Los Cachones der Kakao wächst. Und zwar Edelkakao, wie ihn Spitzenchocolatiers verwenden, wenn sie Spitzenkonfekt herstellen oder auch nur einen dunklen Akzent auf flauschige Fruchtsorbets klecksen. Ein Nischenprodukt allerdings. Insgesamt beträgt der Anteil an Edelkakaos nur fünf Prozent an der weltweiten Produktion, der Rest ist Massenware. Aber was ist der Unterschied?
Der Kakao, so lernen wir in Los Cachones erst einmal, wächst an den dicken Büschen mit den festen Blättern, die gern im Schatten höherer Bäume stehen, denn Kakao ist ein Unterholzbaum. Und wenn wir genau hinschauen, sehen wir sie auch an den Hauptästen und an den Stämmen hängen, die länglichen Früchte in allen Farbschattierungen zwischen Grün, Gelb, Orange und Rot. Wenn die Früchte reif sind, kann man sie mit einem Holzhammer aufklopfen: Mittendrauf ein gezielter Schlag, noch einer auf die Rückseite, und das feste Fleisch bricht quer durch. Innen liegen die Kakaobohnen, so um die dreißig Stück, fest verwachsen mit hellem, weichen Fruchtfleisch. Der Pflücker hält uns eine halbe Frucht hin: Probieren! Beherzt greifen wir in den Glibber, ziehen eine Bohne heraus und knabbern das Fleisch ab. Wie schmeckt es? Wie eine Mischung aus Litschi und Zitrone und eigentlich ziemlich gut. Kein Wunder, dass die Ureinwohner Mittelamerikas zuallererst das Fruchtfleisch nutzten, indem sie es zu einem alkoholischen Getränk vergoren.
Nie wieder Billigschokoriegel!
Doch der ganze Aufwand mit der Überpflanzung durch Palmen und Obstbäume, der regelmäßige Beschnitt der Kakaopflanzen, um die Ernte zu erleichtern, das Pflücken, das Aufklopfen der Früchte, das Ausräumen der Bohnen mitsamt Fruchtfleisch in einen Eimer, all das geschieht nur wegen der begehrten Bohnen. Die Früchte der Schattenbäume, die Kokosnüsse, die Bananen, die Plantanen fallen nebenher an und erwirtschaften kaum etwas. Sie dürfen nur zum Wohle des Kakaos hier wachsen.
Aber die Kakaopflanzen stellen noch viel höhere Ansprüche. Feucht muss es sein - und das ist es gerade, es schüttet schon wieder wie aus Kübeln - und der Boden gut durchlässig, damit sich keine Nässe staut. Denn sonst kommt es zur gefürchteten „Black Pod Disease“, der Schwarzen-Frucht-Krankheit. Das ist ein Pilz, der genau das bewirkt, nämlich die Früchte schwarz anlaufen zu lassen. Das Fruchtfleisch schmeckt, auch das probieren wir, nun gar nicht mehr frisch, sondern eher gammelig.
Solche Früchte werden entsorgt, wenn man Wert auf Qualität legt. Wenn man weniger Wert darauf legt, verwendet man die schwarzen Gammelfrüchte für minderwertigen Kakao, etwa für massenhaft produzierte Schokoriegel oder andere Süßigkeiten, in denen es nicht auf den Geschmack ankommt. Billige Schokolade besteht ohnehin vor allem aus Kakaobutter und ordentlich Zucker, da kann die Frucht ruhig gammlig sein. Wir aber verziehen, konfrontiert mit dem frisch verdorbenen Rohstoff, kollektiv die Gesichter: Nie wieder Billigschokoriegel! Keine Chance der Gammelfrucht!
Hübsch beschattet in Obstbaumgesellschaft
Theoretisch gibt es bei den Kakaopflanzen drei Varietäten: Trinitario, Criollo und Forastero. So wurde es seit Jahrhunderten gehandhabt, so hat es sich allgemein eingebürgert. Der Forastero macht mit gut 90 Prozent der Weltproduktion die größte Menge aus, die Pflanze ist am pflegeleichtesten und der Ertrag am höchsten. Ein wüchsiger Allroundkakao mit kräftigem Geschmack.
Der empfindliche Criollo dagegen führt ein Nischendasein als Delikatesse. Seine Bohnen enthalten besonders wenig Bitterstoffe und wenig Säure. Er mag außerdem nicht in Monokultur wachsen, sondern nur hübsch beschattet in Obstbaumgesellschaft, weshalb sein feines Aroma je nach Nachbarschaft nussige oder beerige Noten bekommt. Der Criollo ist außerdem der Urkakao, den bereits die ersten Einwohner Mittelamerikas, die Olmeken, anbauten. Inzwischen gibt es fast keine reinen Varietäten mehr, die meisten heutigen Criollos sind durch Kreuzung mit Forastero oder Trinitario entstanden. Der dritte im Bunde, der Trinitario, stammt, wie der Name vermuten lässt, aus Trinidad und ist eine Kreuzung aus Criollo und Forastero. Er liegt in allen Aspekten - Ertrag, Qualität, Verbreitung - in der Mitte.
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