Kulinarische Spezialitäten Zuckersüßes Sizilien

Kulinarische Spezialitäten Zuckersüßes Sizilien

10.11.2013 13:52

26.10.2013 · Die Landschaft Siziliens ist schroff und wild. Kulinarisch aber ist die Insel ganz anders. Zu jeder Tages- und Jahreszeit gibt es Naschereien und Gebäck. Die Grenzen zum Herzhaften sind oft fließend.
Von URSULA HEINZELMANN




Sizilien liegt beinah in Afrika. Hier blühen zwar Zitronen, aber die Landschaft ist keinesfalls lieblich, und die Menschen geben sich oft ebenso schroff wie das Klima, das im Sommer sehr heiß und trocken ist, im Winter ausgesprochen feucht und fröstelig. Doch das Fremdeln des Nordeuropäers dauert nicht lange, bald erscheint der Ätna eine vertraute Präsenz, die regenabgewandten und steppentrockenen Seiten der Berge entfalten ihren ganz eigenen Charme. Das Mittelmeer lockt selbst im Oktober noch mit lauen Fluten.

Und wenn das alles nicht überzeugt, dann reicht einem die sizilianische Vorliebe für Süßes die versöhnende Hand. Zum Frühstück gibt es noch vor dem Kaffee Granità, ein halbflüssiges Wassereis aus Zitronen, Mandeln, Maulbeeren oder, betörend und exotisch, Jasmin, das mit einem Brioche-Hefeteigbrötchen viel erfrischender ist als Konfitüre.

Das ländlich geprägte Sizilien wurde die meiste Zeit fremdregiert, was nicht nur die gelegentlich etwas abweisende Art ihrer Einwohner erklärt, sondern auch die extreme kulturelle Vielschichtigkeit. Die Griechen brachten Weinreben und Oliven, die Römer Weizen, die Araber Zitrusfrüchte aller Art, Mandeln und Zuckerrohr, aber auch die Kunst der Bewässerung und die Vorliebe für Eisiges. Die Spanier fügten Tomaten, Paprika und Auberginen hinzu, so dass die nachfolgenden Savoyer und Bourbonen eine beeindruckende Mischung an kulinarischem Multikulti antrafen.

Für jeden Anlass ein eigenes Backwerk
Die Grenzen zwischen süß und herzhaft sind hier oft ebenso fließend wie die zwischen den verschiedenen Kulturen. Da gibt es Caponata, mit Zwiebeln und Pinienkernen gebratene Auberginen, die mit Zucker karamelisiert und mit Essig abgelöscht werden, gelegentlich auch darüber hinaus mit Schokolade und Mandeln abgeschmeckt. Sarde a beccafico sind mit Minze, Pinienkernen, Korinthen und Marsala (neben den typisch sizilianischen Brotbröseln, Zwiebeln und Knoblauch) gefüllte Sardinen. Orangensalat mit Zwiebeln, schwarzen Oliven und einem Hauch Peperoncino ist eine beinahe omnipräsente Vorspeise oder Beilage.

Die moderne Wissenschaft sagt, Zucker mache süchtig. Wenn dem so ist, dann lässt sich dieser Sucht wohl kaum genüsslicher frönen als in Sizilien. Für jeden Anlass und jede Jahreszeit gibt es ein eigenes Backwerk oder Konfekt, jeder Ort hat seine Spezialität. In Modica etwa, der cremeweiß leuchtenden, steil am Hang emporsteigenden Barockstadt im Südosten der Insel, sind es ’Mpanatigghi. Für das halbmondförmige Gebäck wird ein einfacher, ungesüßter Mürbteig um eine dunkle, saftige Füllung geschlagen, die außer Schokolade Mandeln, Haselnüsse, Zucker, Zimt, Nelken und Fleisch enthält. Letzteres ist geschmacklich nicht unbedingt als solches erkennbar. Der sizilianische Name geht auf die spanischen Empanadas zurück, und ursprünglich wurde im 16. Jahrhundert statt des heutigen Rindfleischs wohl Wild verarbeitet; vielleicht war es reichlich vorhanden, vielleicht wollte man aber auch an Fastentagen auf diskrete Weise Fleisch konsumieren.

Schokolade mit Messergewalt in mundgerechte Teile splittern
Nicht nur für ’Mpanatigghi, sondern generell für alles Süße ist die „Dolceria Bonajuto“ in Modica die erste Adresse, elegant in dunklem Holz vorne der kleine Laden, ausgedehnt dahinter die Backstube. Die weißgekittelten Verkäuferinnen reichen vormittäglich süße Teilchen über den Glastresen, neben den süßen Fleischtäschchen auch Miniaturversionen der in Sizilien allgegenwärtigen Cannoli, knusprige Teigröllchen, die erst auf Bestellung mit süßer Ricottacreme gefüllt werden, oder das ebenfalls sehr beliebte Gelo di Mellone, ein Gelee aus Wassermelonen, das aber auch aus Orangen, Mandarinen oder (etwas gewöhnungsbedürftig) aus den Kernen der hier heimischen Johannisbrotbäume zubereitet wird.

Am bekanntesten ist Modica allerdings für seine Schokolade, die Cioccolata Modicana. Kristallin knirschend ist sie den aztekischen Ursprüngen zweifellos näher als die schmelzig conchierten Versionen unserer Zeit. Bei Bonajuto werden dafür gemahlene Kakaobohnen bei sehr schwacher Hitze verflüssigt, mit Kristallzucker und ein wenig Vanille oder Zimt vermischt, die Masse wird leicht gewalzt und dann in Formen gerüttelt. Die fingerdicken Tafeln brauchen Messergewalt, um in mundgerechte Teile zu splittern, aber sie lassen sich auch in warmer Milch auflösen und sind ein guter Vorrat für den kalten Winter im Norden. Dazu passt Aranciata, ein Ballen aus honiggekochten, leicht bitteren Orangenschalen, die wie ein Konzentrat englischer Marmelade wirken.

Kreationen eines fanatischen Zuckerbäckers
Doch vorerst ist noch Spätsommer hier auf der Insel. An den Obst- und Gemüseständen leuchten die großen gelben Melonen, die fruchtiger und weniger aufdringlich süß schmecken als anderswo. Ebenso heiter leuchtet in Noto, eine halbe Autostunde von Modica entfernt, die mandelkernhelle Fassade des Doms in der Spätsommersonne. Die süße Sucht zieht einen jedoch wie magisch zum „Caffè Sicila“ schräg gegenüber, zu den süßen Wunderwerken von Corrado Assenza.

Manche sind ganz klassisch, wie die Cassatina: Ziegen-Ricottacreme auf Biskuit, ein pistaziengrüner Marzipanrand, obenauf schneeweißseidiger Zuckerguss, gekrönt von kandierter Orangenschale und einer Kirsche. Der Nordeuropäer lernt: In Sizilien bekommt er unter der Bezeichnung Cassata nur mit dem Zusatz „gelata“ Gefrorenes; ansonsten handelt es sich um barock üppig gefüllte und verzierte Torten. Auch die bietet Assenza natürlich an, doch viel spannender sind die neuen Kreationen des fanatischen Zuckerbäckers. Mit Safran gewürztes Tomatensorbet belegt er mit Tomatengelee und Oreganocremetupfen, Thymianparfait umhüllt er mit einem Eismantel, der durch Kakaobohnensplitter ebenso körnig auf der Zunge knistert wie der Zucker in der Schokolade aus Modica - eine neue Dimension in der Begegnung von süß und herzhaft.

Eine Wonne für den Zuckersüchtigen
Neben dem „Sicilia“ in Noto wird die „Pasticceria Musumeci“ in Randazzo am Fuße des Ätnas immer wieder gerühmt. Die Torten und Gelati von Santo Musumeci werden regelmäßig preisgekrönt, allein ihre Beschreibung ist dem Zuckersüchtigen eine Wonne. Doch am Fuße der imposanten lavasteindunklen Kirche erwartet den Nordeuropäer die nächste Lektion in Sicilianità: Das „Café Musumeci“ hält Mittagsruhe, und die dauert bis um halb vier. Da bleibt einem kurz nach eins nichts anderes übrig, als weiter um den stolzen Ätna zu fahren und auf Ersatzbefriedigung zu hoffen.

Die offenbart sich keine zwanzig Autominuten später in dem verlassen wirkenden, aber immerhin geöffneten „Caffè L’Alhambra“ in Linguaglossa mit mehreren Glasvitrinen voller Variationen zum Thema Mandeln, Pistazien und Haselnüsse. Mit Schokolade überzogener Haselnusstorrone, in Puderzucker gewälzte Mandelpaste, für die allein das Wort Marzipan viel zu schwer wirkt, das gleiche aus Haselnüssen, die wie die Pistazien (für die das nicht weit entfernte Städtchen Bronte berühmt ist) besonders gut auf dem Lavaboden gedeihen.

Silbertabletts mit Stapeln von Mandelgebäck
Für die Lieben daheim lohnt es sich, eine Auswahl Frutta Martorana zu erstehen. Die äußerst realistisch geformten und bemalten Marzipanfrüchte sind wahre Kunstwerke. Die Mandelmischung ist hierfür zwar etwas fester als beim heimischen Lübecker, aber alles andere als gipsartig, wie in Reiseführern oft behauptet. Traditionell wird die Frutta Kindern zu Allerheiligen als Geschenk neben das Bett gelegt, und natürlich stammt sie wie so viele Süßigkeiten ursprünglich aus einem Kloster, dem La Martorana in Palermo.

Es ist typisch für die spröde Insel, dass selbst inmitten des Touristentrubels auf der Fußgängerzone von Taormina in Sachen Süßes hohe Qualitätsstandards herrschen. Hinter den großen Fenstern der Pasticceria Etna locken Silbertabletts mit Stapeln von ganz leichtem und doch großartig intensivem Mandelgebäck. Die kleinen Kissen sind mit kandierten Zedratzitronen-, Orangen-, Feigen- oder Pistazien gefüllt und am besten nimmt man von jeder Sorte eine nicht zu kleine Tüte ins Fröstelgrau des Nordens mit; als Erinnerung an lange Tage am Strand, die Sonne des Südens, die Mächtigkeit dieser Landschaft, die sich vielleicht mit einer regelmäßigen Dosis intensiver Süße am besten verstehen lässt.
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  • Erstellt von Netpress-Admin In der Kategorie Allgemein am 10.11.2013 13:52:00 Uhr

    zuletzt bearbeitet: 10.11.2013 13:53
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