Tacloban nach dem Taifun Noch immer liegen Leichen auf den Straßen

Tacloban nach dem Taifun Noch immer liegen Leichen auf den Straßen

13.11.2013 17:19

13.11.2013 · Der Gestank verwesender Leichen liegt über Tacloban. Den Überlebenden fehlt es an allem, die meisten wollen nur weg – doch die Plätze in den Flugzeugen reichen nicht aus. F.A.Z.-Korrespondent Till Fähnders berichtet aus dem Katastrophengebiet auf den Philippinen.
Von TILL FÄHNDERS, TACLOBAN


Joselito Tabocol steht auf einem Berg von umgerissenen Bäumen, Brettern, Getränkekisten, Möbeln, Kleidern, Müll und wahrscheinlich auch Menschen. Er sucht seine Mutter und seinen Neffen, die noch irgendwo unter den Trümmern begraben liegen müssen. Den leblosen Körper des Vaters hat er gefunden. Er hat ihn in eine Kirche gebracht. Tabocol ist groß gewachsen, ein Basketballtrainer, ein schmaler und trotzdem kräftiger Mann. Er weint. „Es hat nur Sekunden gedauert, dann stand das Wasser plötzlich so hoch wie das Haus. Ich hatte meine beiden Neffen im Arm, als der Taifun zuschlug. Aber der eine ist mir entglitten“, sagt Tabocol. Einige seiner Freunde helfen bei der Suche im Schutt, der sich vor dem Haus der Tabolcols auf der Straße und auf einem freien Feld aufgetürmt hat. Aber keiner von ihnen weiß, ob die gewaltigen Fluten die Körper nicht einfach in eine ganz andere Richtung gespült haben.

Die Stadt Tacloban sieht seit dem Taifun Haiyan so aus, als hätte jemand sie einmal komplett hochgehoben und mit einem lauten Krach auf die Erde zurückgeworfen. Die Überreste der Häuser ragen schräg in den Himmel. Entwurzelte Bäume, umgekippte Strommasten, Eisenstangen, große Stücke Wellblech und umgekippte Lieferwagen versperren den Weg. Die meisten Hausdächer sind zumindest teilweise zerstört. Fischerboote, Motorboote und ein Jet-Ski liegen verstreut in der Landschaft, sie wurden wie bei einem Tsunami mehrere hundert Meter ins Landesinnere gespült.

Nichts mehr da, wo es hingehört
Der Filipino Bonifacio Cubillo zeigt in seinem Haus, das aus Pressholzplatten zusammengezimmert ist, wie das Wasser bis an den Rand einer Uhr gestiegen ist, die über der Tür hängt. Im Haus befand sich die fünfköpfige Familie, darunter ein fünf Jahre altes Kind. Der Sturm hatte ein großes Stück aus dem Dach herausgerissen und peitschte den Regen so heftig ins Innere des Hauses, dass sich die Tropfen im Gesicht angefühlt hätten wie Sand, berichtet Bonifacio Cubillo. Die Familie habe sich flach auf das Dach gelegt und ausgeharrt. Nun steht in dem Haus nichts mehr, wo es hingehört. Kleidung, Decken, Matratzen, persönliche Gegenstände sind verdreckt, der Garten ist von Trümmern übersät. Immerhin funktioniert noch der Gaskocher, und um die Ecke gibt es eine offene Wasserleitung, an der die Anwohner Behälter befüllen. Bonifacio Cubillo ist es außerdem gelungen, etwas Reis, Nudeln und Rindfleisch aufzutreiben.

Noch schlimmer als die gewaltige Zerstörung sind die schwarzen, aufgedunsenen Leichname, die noch immer überall auf den Straßen liegen, und der Verwesungsgeruch, den sie in weitem Umkreis verströmen. Die meisten Einwohner haben sich Tücher oder Papiermasken über Nase und Mund gezogen, um den Gestank ein wenig zu mildern. Lediglich in der Nähe des Flughafens haben Hilfskräfte damit begonnen, einige Körper in Leichensäcke zu hüllen. Doch bei einem Gang durch die Straßen trifft man noch immer auf Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte Leichen. Es ist anzunehmen, dass die Zahl der Opfer sogar über die bisherigen Schätzungen von 10.000 hinausgehen, auch wenn der philippinische Präsident Benigno Aquino am Dienstag in einem Interview mit dem amerikanischen Sender CNN von 2000 bis 2500 Toten sprach. Allein in einem Gebäude der Grundschule „Fisherman‘s Village“ liegen Dutzende Leichen mit aufgequollenen Augen und Mündern, die Arme teilweise in grotesker Starre in die Höhe gestreckt. Es sind Menschen, die sich in der Schule vor dem Taifun in Sicherheit bringen wollten. Aber durch das schnell hereinströmende Wasser wurde das einstöckige Gebäude für sie zur Falle. Der Gestank ist hier so überwältigend, dass ein gestandener Fotograf aus Schweden nach nur wenigen Atemzügen den Rückzug aus der Schule antreten musste.

Hilfe vielerorts noch nicht angekommen
Noch immer ist die von vielen Staaten und Hilfsorganisationen sowie von philippinischen Stellen versprochene Hilfe nicht bei den Menschen angekommen. Außer einigen Glücklichen, die Reis und Wasser direkt am Flughafen bekommen haben, die von ersten Frachtflugzeugen gebracht wurden, scheint sonst niemand Güter erhalten zu haben. Im International Convention Center haben Hunderte Familien Unterschlupf gefunden. Doch keiner von ihnen hat Hilfe bekommen. Am Dienstag hatten lediglich die Verletzten Impfungen gegen Tetanus bekommen.

In der Nacht wirkt Tacloban wie eine Geisterstadt. Der Ort mit seinen 220.000 Einwohnern ist in völlige Dunkelheit gehüllt, denn es gibt keinen Strom, und er wird auch erst frühestens in zwei Wochen wieder fließen. In manchen Häusern glimmt schwaches Kerzenlicht. Die Menschen haben vier Wände um sich herum, aber kein Dach mehr über dem Kopf. Hier und da haben Anwohner am Straßenrand Feuer entzündet.

Dabei scheint die Lage schon etwas geordneter als in den ersten Tagen nach dem Taifun. Es gibt Kontrollposten des Militärs, um Plünderer und Diebe abzuschrecken. Die Regierung hat für die Zeit von zehn Uhr abends bis sechs Uhr morgens eine Ausgangssperre verhängt. „Es ist noch etwas chaotisch, doch es wird langsam besser“, sagt Alfred Romualdez, der Bürgermeister von Tacloban im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Plünderungen hätten aufgehört, es gäbe nur noch kleinere Diebstähle. Die Stadt habe sich auch um die Hilfsbedürftigen aus der Umgebung kümmern müssen, das habe die Situation am Anfang erschwert. Derzeit sei aber schon die Hälfte der Bevölkerung mit Hilfsgütern versorgt worden, sagt der Bürgermeister. Das allerdings deckt sich das nicht mit den Erfahrungen vor Ort.

Politische Spannungen werden verstärkt
Einige vermuten, dass die Hilfsarbeiten auch durch politische Spannungen zwischen der Zentralregierung und dem Bürgermeister von Tacloban erschwert werden. Denn Romualdez ist der Neffe der Witwe des früheren Diktators Ferdinand Marcos. Die Eltern des amtierenden Präsidenten gehörten seinerzeit zu den schärfsten Gegnern der Marcos-Diktatur. Aquinos Vater, der damalige Oppositionsführer Benigno Aquino Jr., war 1983 auf dem Flughafen Manila einem Attentat zum Opfer gefallen. Seine Mutter Corazon Aquino führte daraufhin die „People Power Revolution“ zum Sturz des Diktators im Jahr 1986. Bis heute herrscht zwischen beiden Familien tiefes Misstrauen.

Ein Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes berichtet, dass an diesem Donnerstag ein Flugzeug aus Berlin mit 500 Familienzelten, 1000 Hygienesets, 1000 Planen, 500 Kochsets und mit Werkzeug in Cebu eintreffen soll. Auch die Vereinten Nationen bemühen sich um weitere Hilfslieferungen.

Am Eingang zum International Convention Center sitzt eine knapp 70 Jahre alte Frau auf einem Stuhl. Dort verbringt sie auch die Nächte. Niemand hier habe erwartet, dass die Wassermassen so stark sein würden, sagt die Frau. Man habe schließlich schon viele Taifune erlebt. Sie und ihre Familie haben sich in einer kleinen Ecke am Eingang des Zentrums ausgebreitet. Die Wäsche hängt an einer Leine an der Wand. Die Familie hat einen kleinen Kocher, der mit Kohle befeuert wird. Im Inneren des Zentrums haben die Menschen Bretter über die Sitzreihen gelegt, um darauf zu schlafen. Normalerweise sitzen hier die Zuschauer und sehen sich Sportveranstaltungen und Konzerte an. Jetzt hängt ein modriger Geruch in der Luft. Durch die Eingangstore ist das Meer zu sehen, die nur ein paar Meter weiter gegen die Mauern plätschert.

Lange Schlangen vor dem Flughafen
Die Menschen berichten, dass in dem Gebäude schon Menschen zu Tode gekommen waren, bevor der Taifun überhaupt seine volle Kraft erreicht hatte. Es sei plötzlich Panik ausgebrochen unter den Menschen, die in dem Zentrum Schutz gesucht hatten. Anders als am Straßenrand haben die Behörden die Toten von hier aber schon weggeschafft. Die Menschen, die hier untergebracht sind, kämpfen ums Überleben. Es fehlt ihnen an allem. Eine Frau stillt ihr nur vier Wochen altes Baby, das unter Hautausschlag leidet. Ein Mann kommt herüber gehumpelt, der Verband an seinem Bein ist durchgeblutet. Seine Mutter berichtet, wie sie ihr vier Monate altes Enkelkind in den Fluten verloren hatte. Eine andere Frau sagt, dass ihre Kinder immer schlimmer husteten. „Wenn möglich wollen wir weg aus der Stadt, weil die Kinder krank sind“, sagt sie.

Am Flughafen haben sich Hunderte Meter lange Schlangen von Menschen gebildet, die nach Manila oder in die nächste größere Stadt Cebu flüchten wollen. Zwei private Fluggesellschaften bieten mittlerweile wieder Flüge an, zudem nimmt das Militär kostenfrei Personen mit. In den ankommenden Maschinen sitzen Hilfskräfte, ausländische Journalisten und vor allem Filipinos, die ihre Verwandten in Tacloban suchen wollen. Die meisten haben nichts mehr von ihren Familien gehört, seitdem der Taifun am Freitag mit voller Wucht über Tacloban hinweggefegt ist. Noch immer gibt es nur an ganz wenigen Orten Zugang zum Mobilfunknetz. Auch die Zufahrtsstraßen sind verstopft. Viele Angehörige sind von Cebu mit der Fähre nach Ormoc gefahren. Auf dem Weg von Ormoc nach Tacloban ist ein Trampelpfad durch die verwüstete Landschaft entstanden. Die Menschen laufen hier mit Plastiktüten, Wasserflaschen und Benzincontainern scheinbar ziellos über den Asphalt. Sie leben von der Hand in den Mund. Kirchen, denen das Dach abgerissen wurde, Häuser ohne Abdeckung finden sich überall entlang des Weges. Zuckerrohrpflanzen biegen sich über dem Boden, und sogar der Riesenbambus, der als Symbol für unbegrenzte Biegsamkeit gilt, ist am Schaft durchgebrochen.

Geschäftemacher selbst in der größten Not
Für die Fahrt nach Tacloban auf Mopeds und Lastwagen müssen die Reisenden mehrere Tausend philippinische Peso bezahlen – ein Vielfaches des normalen Preises. Selbst in größter Not sind Geschäftemacher am Werk. Zudem kostet ein Liter Benzin kostet in Ormoc jetzt 150 Peso, etwa das Dreifache des normalen Preises. Vor einer Tankstelle stehen die Menschen Schlange. Benzin wird in kleinen Kanistern und Flaschen auch am Straßenrand verkauft. In Tacloban gibt es kaum noch Benzin.

Über die Straße von Ormoc war am Dienstag auch ein israelisches Ärzteteam nach Tacloban gekommen. Die Mediziner verabreichen nun Tetanusspritzen im Akkord. Doch der Glaube an die Helfer ist hier nicht sehr groß. Noch weniger trauen die Menschen aber der philippinischen Politik. „Ich vertraue den Politikern nicht, die sich um die Spendengelder kümmern sollen. Es gibt so viel Korruption hier“, sagt Joselito Tabocol, der in den Trümmern immer noch nach seinem Neffen und nach seiner Mutter sucht. Bisher hatte er keinen Erfolg gehabt. „Ich will sie einfach nur begraben“, sagt der Filipino.

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  • Erstellt von Netpress-Admin In der Kategorie Allgemein am 13.11.2013 17:19:00 Uhr

    zuletzt bearbeitet: 13.11.2013 17:19
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