07.11.2013 · Ein Baum als letzte Ruhestätte kommt dem Trend zu einer preiswerten Bestattung entgegen. Zwar erinnert fast nichts an den Toten, doch eine Grabstelle im Wald ist auch einfach schön.
Die Pastorin ist verunsichert. „Soll ich nicht doch lieber meinen Talar überziehen? Irgendwie fühle ich mich komisch in meiner schwarzen Jacke.“ Es sei schließlich eine Amtshandlung. Förster Rüdiger Müller stimmt ihr zu. Und so holt Ulrike Decker-Horz aus dem Koffer ihres Motorrads das schwarze Gewand. „Eigentlich wollte die Tochter des Verstorbenen nur, dass ich dabei bin“, erzählt die Pfarrerin der evangelischen Gemeinde Wiesbaden Nordenstadt. „Ich sollte auch gar nichts sagen. Aber ich finde, das geht nicht. Also mache ich das jetzt einfach.“
Zu Grabe getragen wird ein Mann von Anfang 60. Etwa 20 Personen geben ihm das letzte Geleit. Den Ältesten unter ihnen fällt der Weg durch den Wald sichtlich schwer. Es dauert, bis auch der letzte an dem kaum 30 Zentimeter großen Erdloch vor einer schönen alten Buche angekommen ist. Das Loch ist mit einer Baumscheibe zugedeckt und mit Tannenzweigen dekoriert. Obendrauf steht die helle Urne, daneben eine Vase mit Sonnenblumen. „So befehlen wir ihn der Gnade Gottes an und geben seine Asche in Gottes Acker“, sagt Decker-Horz. „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub.“
Ein kleines Schild mit Namen sowie Geburts- und Sterbedatum
Auf ein Zeichen der Pfarrerin versenkt der Förster die Urne im Waldboden, dann geht er still zur Seite. Später wird er auch noch die Sonnenblumen hineingeben, den einzigen Blumenschmuck an diesem Tag, und das Loch zuschaufeln. Fast nichts erinnert dann noch an den Toten – außer ein kleines Schild mit seinem Namen sowie Geburts- und Sterbedatum, das Förster Müller ein paar Tage später an die Buche nageln wird.
Der Friedwald Hirschwiese in der Stadt Taunusstein, die sich mit mehr als 52 Prozent Waldanteil im 67 Quadratkilometer großen Stadtgebiet wohl zu Recht als „Stadt im Grünen“ bezeichnen darf, wurde vor gut zwei Jahren eröffnet. Inzwischen sind einige hundert Bäume verkauft. „Das Interesse“, sagt Müller, „ist so groß, dass wir schon erweitern mussten.“ Platz gibt es noch genug auf dem 22 Hektar großen Gelände, das der Kommune gehört und vom Landesbetrieb Hessen-Forst bewirtschaftet wird. In Maßen muss auch dieser Wald noch geernet werden.
Gerade erst wurden Dutzende Kiefern abgeholzt, die nach Meinung Müllers sowieso nicht in einen mitteleuropäischen Mischwald gehören. Auf der Freifläche sollen bald Buchen wachsen. In den Wald eingeladen zu einer Führung hat an diesem Tag das Unternehmen Friedwald GmbH, um seine alternative Bestattungsform vorzustellen. Das Konzept entwickelt und kommerzialisiert hat der Schweizer Ingenieur Ueli Sauter schon vor 20Jahren. Übertragen auf deutschen Boden hat die Friedwald-Idee die Rechtsanwältin Petra Bach vor 13 Jahren.
2001 wurde der Friedwald im Reinhardswald bei Kassel als erster Bestattungswald überhaupt in Deutschland eröffnet. Inzwischen gibt es einen Friedwald an 50 Standorten mit einer Fläche von mehr als 2500 Hektar – und als Anbieter auch einen Konkurrenten: die Ruheforst GmbH. Sie betreiben die zunehmende Zahl der Wälder, denn laut Gesetz darf der Träger eines Friedhofs nur eine Kommune, eine Einrichtung öffentlichen Rechts oder eine religiöse Gemeinschaft sein, kein privates Unternehmen.
Ein letzter Tanz für ein verstorbenes Vereinsmitglied
„Ich habe 30 Jahre lang ein Grab gepflegt, ich will das keinem zumuten“, sagt eine der älteren Damen gleich zu Beginn der Tour durch den Wald bei Taunusstein. Das sei, sagt Förster Müller, einer der Hauptgründe, warum sich so viele für eine Bestattung in freier Natur entschieden. Dann geht es los, hinauf zum Andachtsplatz. Hier, vor einem gut zwei Meter großen schlichten Holzkreuz, treffen sich die Trauernden, um Abschied zu nehmen. Hier wird gebetet und gesungen, hier hat aber auch schon mal eine Line-Dance-Gruppe für ein verstorbenes Vereinsmitglied einen letzten und, wie Müller erzählt, „lauten“ Tanz aufgeführt. Weiter geht es, vorbei an den ersten Bäumen, an denen kleine Schilder mit Namen oder mit Bibelzitaten hängen.
Müller bleibt wieder stehen: „Dies ist ein Mahlbaum“, sagt er. An dem Stamm hat sich, für den Fachmann unverkennbar, ein Wildschwein geschubbert, das zuvor in Schlamm gebadet hat. Den getrockneten Dreck scheuern sich die Wildschweine später samt möglicher Parasiten an der Rinde wieder ab. „Ich zeige ihnen das, weil einer von ihnen nachher bestimmt fragen wird, ob Wildschweine nicht die Urnen ausgraben“, sagt der Förster. „Ich kann sie beruhigen. Die Schweine kommen hier zwar jede Nacht durch, doch für die Urnen interessieren sie sich überhaupt nicht.“
Der Preis hängt von Stärke, Art und Lage des Baumes ab
Direkt neben dem Mahlbaum steht ein Gemeinschaftsbaum. Um ihn herum, im Abstand von etwa zweieinhalb Metern, befinden sich zehn Urnengräber. Hier liegen Tote, die sich womöglich nicht gekannt haben. Damit unterscheiden sie sich von Familien- oder Freundschaftsbäumen und dem sogenannten Partnerbaum. „Wenn Sie einen Baum kaufen, dann entscheiden Sie am Ende, ob Sie sich nur mit Ihrer Frau und vielleicht noch Ihren Kindern oder gleich mit neun Kumpels von Ihrem Fußballverein bestatten lassen“, sagt Müller.
Die Preise sind abhängig jeweils von Stärke, Art und Lage eines Baums. Jeder Baum trägt eine Nummer und eine Plakette in einer bestimmten Farbe: An ihr lässt sich der festgelegte Preis erkennen. Zwischen 770 und 1.200 Euro kostet die Bestattung an einem Gemeinschaftsbaum, bis zu 6.350 Euro ein Baum mit zehn Urnenplätzen. Im Trauerfall kommen die Kosten für eine Beisetzung in Höhe von derzeit 275 Euro hinzu. Im Preis enthalten ist die biologischabbaubare Friedwald-Urne. Sie besteht aus Arboform, Flüssigholz und ist mit zwei Ginkgo-Blättern verziert.
Selbstverständlich hat Förster Müller auch eine Urne dabei, die er herumgehen lässt. Die Einäscherung, sagt er, sei Voraussetzung für eine Beisetzung im Friedwald. Auch hier, in freier Natur, muss noch nach Jahren nachzuvollziehen sein, wer wo bestattet wurde. Das gilt selbst für anonyme Urnengräber, die nur nach außen hin unkenntlich sind. Denn im Krematorium wird jedem Verstorbenen eine Nummer auf einem feuerfesten Schamottestein beigefügt.
Der Stein wird mit der Asche in die Urne gefüllt, die zusätzlich noch mit einer dünnen Metallplatte verschlossen wird, in die wiederum die Schamottestein-Nummer, der Name des Toten, sein Geburtsdatum und der Tag der Kremierung eingraviert ist. Jeder Baum ist genau vermessen und verzeichnet, genauso wie jede Urnenposition.
Auf 99 Jahre ist der Wald in Taunusstein ein offizieller Friedhof. Wer also heute dort bestattet wird, hat noch gut 96Jahre lang seine Ruhe. In den letzten 20Jahren finden dann schon keine Bestattungen mehr statt. „Und was ist, wenn ich heute einen Baum kaufe und meine Frau stirbt erst in 77 Jahren“, fragt der Jüngste in der Gruppe. „Dann haben Sie Pech“, sagt Förster Müller und lacht.
„Der Deutsche und die Grabpflege“
Apropos Pech: „Was passiert“, fragt ein anderer, „wenn ein Orkan meinen Baum umknickt?“ – „Der Wald hat Wiebke überstanden, Lothar und Kyrill. Das ist schon mal ein gutes Zeichen“, glaubt Fachmann Müller. Doch wenn ein alter Baum umknicke, lasse er sich natürlich nicht einfach ersetzen. Im Schadensfall werde der Stumpf erhalten und daneben ein neuer Baum derselben Art gepflanzt.
Unweigerlich kommt am Ende auch die Frage nach Schmuck am Baum auf. Vielleicht ein Kranz oder eine Laterne? „Der Deutsche und die Grabpflege“, sagt Müller kopfschüttelnd. Selbst bei einer Naturbestattung könne er es einfach nicht lassen. „Dieses Frühjahr war die Saison der Krokusse, die schossen plötzlich überall an den Bäumen aus der Erde.“ Doch das sei nicht erlaubt. „Das ist ein Wald, da gehören keine Blumen rein und auch keine Grablichter.“
Selbst ein Vogelhaus darf man an „seinen“ Baum nicht anbringen. „Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen Blumen mit ins Grab, oder auch Sand vom Strand von Sylt, weil Sie da 50Jahre lang ihren Urlaub verbracht haben, oder die Perlenkette Ihrer Großmutter. Und Sie dürfen auch an Ihrem Baum eine Gedenkfeier am Todestag des Verstorbenen abhalten, wenn Sie nicht zu laut sind. Aber mehr ist nicht.“
Das Bestattungsrecht in Deutschland ist streng geregelt, auch wenn sich die Bestattungskultur in den vergangenen Jahrzehnten geändert hat. Inzwischen lassen sich mehr Menschen in Deutschland einäschern als in einem Sarg auf einem Friedhof beisetzen. Zunehmend wollen die Deutschen auch nicht mehr auf einem althergebrachten Gottesacker ihre letzte Ruhe finden, sei es nun in einem Grab oder auch in einem Kolumbarium für Urnen.
Neben Seebestattungen ist der Friedwald eine der besonders beliebten neuen Bestattungsformen. 8.000 Menschen haben sich im vergangenen Jahr alleine unter einem Baum der Friedwald GmbH bestatten lassen. Damit trägt sie auch einem „problematischen“ Trend Rechnung, wie der Bundesverband Deutscher Bestatter sagt: Verstorbene möglichst billig zu „entsorgen“. Ein „Basisplatz“ im Wald, den der Förster zuweist, kostet nur 490 Euro. Vor allem Kommunen, die Sozialfälle bestatten müssen, greifen darauf zurück.
Auch Pfarrerin Ulrike Decker-Horz hat die Erfahrung gemacht, dass sich immer mehr Menschen preiswert und vor allem anonym bestatten lassen wollen. „Die Friedhofskultur nimmt ab.“ Ein Grab mache einfach Arbeit. Und gerade auf dem Land sei es ja undenkbar, dass ein Grab ungepflegt bleibe. Da beugten die Angehörigen vor. Sie persönlich mag die pietätlose Betriebsamkeit auf einem althergebrachten Friedhof sowieso nicht. Und Urnenwände – einfach furchtbar! Da sei ein Wald als letzte Ruhestätte doch etwas Wunderschönes. „Dieses Zurückgeben in die Natur, grandios.“
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