Wolfgang Niedecken Mit klarem Blick und ruhiger Seele

Wolfgang Niedecken Mit klarem Blick und ruhiger Seele

15.11.2013 20:15

15.11.2013 · Wolfgang Niedecken, Sänger, Herz und Hirn der Rockband BAP, weiß nicht erst seit seinem Schlaganfall vor zwei Jahren den Wert des Lebens zu schätzen.
Von ROSE-MARIA GROPP


Es ist ein Herbsttag in Frankfurt, schon recht kühl, aber sonnendurchflutet. Wir treffen uns im geräumigen Café am Palmengarten. Viele Leute schauen auf, scheinen es irgendwie nicht zu glauben, manche lächeln hin zu uns, Wolfgang Niedecken erwidert ihre Freundlichkeit. Er ist ein Rockstar in Deutschland, und nicht nur die, die mit ihm älter geworden sind, haben die Musik im Ohr, die er seit gut dreißig Jahren macht, zusammen mit BAP, aber auch solo als Sänger. Dabei ist er so vielseitig wie kaum ein anderer, mit großem Orchester hinter sich wie der WDR Big Band oder, gerade jetzt, mit amerikanischen Musikerfreunden, in einer Begegnung der sehr speziellen, feinen Art.

Wir reden über viele Dinge, sagen wir: über die Dinge des Lebens, nur wenige Sätze über den Schlaganfall, der ihn im November 2011, gut ein halbes Jahr nach seinem sechzigsten Geburtstag, kalt erwischte. Nicht weil ein wildes Rocker-Leben seinen Tribut gefordert hätte, sondern weil ein übler Erkältungshusten ihm ein Blutgerinnsel ins Gehirn trieb. Seine Frau war zufällig in der Nähe, als ihm die Sinne schwanden, und handelte genau richtig. Am eindrücklichsten hat er selbst diese Erfahrung und die Zeit der Rehabilitation in seinem Buch „Zugabe. Die Geschichte einer Rückkehr“ geschildert, dem zweiten Teil der Beschreibung seines bisherigen Lebens: klug, humorvoll, mit optimistischer Demut. Für eine Autobiographie als winterliche Spätlese ist er wirklich nicht reif, Herbst des Lebens hin oder her.

Begnadeter Erzähler ohne Eitelkeiten
Wolfgang Niedecken hat bestimmt Engelsgeduld bei Fragen, die er schon zigmal gestellt bekam, das gehört schließlich zu seinem Geschäft. Doch er hat eine noch viel schönere Eigenschaft: Er muss nicht dauernd über sich selbst sprechen. Im Gegenteil, er ist ein begnadeter Erzähler, ohne Eitelkeiten. Der Frontmann der, wahrscheinlich, erfolgreichsten deutschen Rockband ist das Gegenteil eines habituellen Selbstbespieglers. Auf diese Weise gibt es ein paar Geschichten, zum Beispiel eine zu Bob Dylan, über den er sagt, dass sein ganzes Leben durch ihn in eine andere Bahn gekommen ist. Daraus hat er wirklich nie einen Hehl gemacht.

Da ist aber auch eine Begebenheit, über die er inzwischen sprechen könne, sie kommt von Larry Campbell, einem der Musiker, mit denen er sein aktuelles Album „Zosamme alt“ eingespielt hat. Campbell war acht Jahre lang mit Dylan auf dessen „Never Ending Tour“ unterwegs, ehe er ausstieg. Einmal hat Dylan mit George Harrison als Gast einen ganzen Nachmittag lang „Yesterday“ geprobt. Aber dann hat er Harrison beim Auftritt einfach hinter der Bühne versauern lassen und fuhr nach dem Konzert mit dem Bus weg. Niedecken - der Dylan selbst zweimal begegnet ist und ihn als freundlich und zugewandt erlebte - findet eine solche Missachtung eines Kollegen unverzeihlich. Damit sagt er, gewissermaßen beiläufig, eine Menge über sich selbst und seine eigenen Vorstellungen davon, was er im Umgang mit anderen Menschen für unzulässig hält.

Eines hat Wolfgang Niedecken mit Bob Dylan gemein, es ließe sich das Hinübergleiten ins Lautmalerische nennen in seinen Songs, alles eben auf Kölsch, anders macht er das nicht. Auf seinem aktuellen Solo-Album kommt das wie eine Überredung daher, sanfter als früher, wenn er mit BAP die deutschen Stadien gerockt hat, hart auch in der Botschaft. Wer kennt nicht „Verdamp lang her“ oder „Kristallnaach“? Den Sinn dieser Lieder hat wirklich jeder in unserem Land verstanden. Und zu seinen Anliegen, für die er immer wieder auch mit seiner Musik eingetreten ist, steht er unverrückbar.

Ohne ihn gäbe es kein BAP
Dazu gehört sein Einsatz gegen Kindesmissbrauch. In Kongo engagiert er sich für das „Rebound“-Projekt, das sich um Kindersoldaten und Kinderprostituierte in dem kampfzerfetzten afrikanischen Land kümmert. Mehrfach war er dort, und er wird auch wieder hinfahren. Nachdem wir über „Rebound“ gesprochen haben, muss ich Wolfgang Niedecken unbedingt fragen, ob er auch bei den Gorillas im Hochland war? Er war. Und er erzählt großartig davon, was für ein ergreifendes Gefühl das war, als der Silverback sich ganz nah neben ihm niederließ, um an seinem Bambus zu kauen. Auch so etwas gehört zu den Dingen seines Lebens.

Der Kopf der Band BAP, in ihren wechselnden Konstellationen, war und ist Niedecken. Ohne ihn und seine Lieder kein BAP, auch der Name geht auf ihn zurück, so nannte er auf Kölsch seinen Vater. Ob er eigentlich ein Alphatier ist? Offenbar ist das keine völlig unbekannte Erwägung. Dass er nie jemanden aus der Kapelle rausgeworfen hat, sagt er. Eines aber ist klar: Mit ihm war keine weitere Garagen-Band zu haben, die in englischer Sprache singt. Auch und schon gar nicht nach dem Beginn der steilen Karriere von BAP, von den Achtzigern an. Das hat er durchgesetzt. Und „ich möchte, dass bei BAP nicht Mucker spielen, sondern Musiker“, sagt er. Mucker? Keine contract killers, präzisiert Niedecken; das kapiere ich. Niedecken denkt nicht hierarchisch, er sucht seinesgleichen, in Augenhöhe. Dass er dabei in die Rolle eines Chefs „hineinwachsen“ musste, nimmt er in Kauf. Er ist seinen Weg gegangen.

Beim Reden schütte ich aus Versehen mein Glas mit Sprudel um, der Inhalt landet punktgenau im kleinen Teller daneben, auf dem das Glas an den Tisch kam, und füllt ihn. Wolfgang Niedecken stört das, irgendwie. Nach ein paar Minuten murmelt er: „für die Blumen“, steht auf, nimmt den Unterteller und gießt das bisschen Wasser in einen Pflanzenkübel am Fenster des Cafés. Da fällt mir wieder ein, wie er in „Zugabe“ beschreibt, dass ihm dauernd Leute ihre darbenden Pflanzen bringen, zur Pflege. Seine Frau schaut „argwöhnisch“ darauf (was für ein wundervoll altmodisches Wort), was durchaus zu verstehen ist.

Schwierigkeiten, die richtigen Spielorte zu bekommen
Später, bei einem kleinen Spaziergang im Palmengarten, reden wir über Metzger- und Schusterpalmen und über Gummibäume mit ihrer Neigung, Raum zu greifen, über das geheime Leben der Pflanzen eben.

Irgendwann vorher im Café habe ich ihn noch gefragt, ob es denn überhaupt eine Frage gebe, die ihm nie gestellt wurde, und zu der er gern einmal etwas sagen würde. Wolfgang Niedecken überlegt, dann antwortet er, dass es selbst unter den Umständen einer Tournee von BAP zunehmend schwierig ist, die richtigen Spielorte zu bekommen. Denn er will für sich und sein Publikum solche locations, die auch ästhetischen Ansprüchen gerecht werden, und zugleich will er die Auftritte für die Leute bezahlbar halten. Ist das sogar in Köln so? Ja, selbst die Kölner Philharmonie können er und seine Musiker höchstens ein-, zweimal im Jahr bekommen. Die Kosten sind einfach zu hoch angesetzt. Auch mit solchen Realitäten muss sich Niedecken auseinandersetzen, um sein „kleines mittelständisches Unternehmen“ am Laufen zu halten.

In „Zugabe“ hat einer Bilanz gezogen, mit klarem Blick in eine Zukunft, unter der programmatischen Überschrift des ersten Kapitels „Zu alt, um jung zu sterben“.

Er ruft da Jean Paul auf, diesen genialischen Gratwanderer zwischen Aufklärung und Romantik: „Sobald wir anfangen zu leben, drückt oben das Schicksal den Pfeil des Todes aus der Ewigkeit ab - er fliegt so lange, als wir atmen, und wenn er ankommt, so hören wir auf.“ Das ist die Replik auf den lebensverschwenderischen Gestus der Sechziger und Siebziger, in der keine Schulbank von eingeritzten Sätzen wie „Jimi Hendrix lives (+ 1970)“, „Janis Joplin lives (+ 1970)“, „Brian Jones lives (+ 1969)“, „Jim Morrison lives (+ 1971)“ verschont blieb, der ganze Leichtsinn von „Live fast, love hard, die young“ eben. In „Zugabe“ steht irgendwo: „Vernunft ist in Verbindung mit Rock ’n’ Roll ein furchtbares Wort.“ Da ist schon ein Anflug von Melancholie, auch wenn Niedecken, darauf angesprochen, sagt, dass darin eben leider ein Klischee steckt.

Wunderschönes neues Album
Ja, unbezweifelbar, der Herbst ist gekommen, der tut das immer so, als käme er plötzlich. Das wusste schon Rainer Maria Rilke - „Herr: Es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.“ Und einer wie Rilke folgert daraus, „befiehl den letzten Früchten reif zu sein“. Wolfgang Niedecken nimmt den Herbst an. Für ihn wird es eine gute Zeit sein. Sein wunderschönes neues Album „Zosamme alt“, das er in einer ehemaligen Kirche in Woodstock und in New York in den - einst von Hendrix gegründeten - „Electric Lady Studios“ aufgenommen hat, gehört schon zu ihren Früchten. Im Frühjahr 2014 wird er wieder auf Tournee gehen. „Höösch“, sagt er noch einmal beim Abschied. Als „ganz ruhig“, „in aller Seelenruhe“ übersetzt es Wolfgang Niedecken aus dem Kölsch, seiner Muttersprache. Auch das mit der Seele ist ihm ernst. Dann also Gott sei Dank, Namaste und - bers demnähx.

Köln, New York, Eifel
Wolfgang Niedecken, geboren 1951 in Köln, wurde bekannt als Frontmann, Sänger und Gitarrist der Band BAP, die es seit 1977 in wechselnden Besetzungen bis heute gibt. Von BAP sind bisher 23 Alben erschienen, darunter „Für usszeschnigge“ (1981), „Ahl Männer, aalglatt“ (1986) und „Sonx“ (2004). Niedecken schreibt die Texte für seine Lieder ausschließlich in Kölner Mundart, und er singt auch nur auf Kölsch. Als Solist hat Niedecken bisher drei Platten aufgenommen. Niedecken ist auch Maler, sein Studium der Malerei schloss er 1974 bei Larry Rivers in New York ab. Die Cover der meisten BAP-Alben hat er gestaltet. Im November 2011 erlitt er einen Schlaganfall. Er hat zwei Söhne aus erster Ehe und zwei Töchter mit seiner Frau Tina. Mit ihr und den gemeinsamen Töchtern lebt er in Dahlem in der Eifel.


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  • Erstellt von Netpress-Admin In der Kategorie Allgemein am 15.11.2013 20:15:00 Uhr

    zuletzt bearbeitet: 15.11.2013 20:15
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