Freiheit und Bindung im religiösen Bekenntnis
11.11.2013 · Soll die Lehrerlaubnis islamischer Religionslehrer in den Händen von Funktionären liegen? Worüber die muslimischen Verbände mit dem Münsteraner Professor Khorchide streiten.
Von HERMANN HORSTKOTTE
Wer Religion an staatlichen Schulen oder Theologie an Hochschulen lehren will, braucht dafür eine Erlaubnis der katholischen oder evangelischen Kirche oder neuerdings auch muslimischer Glaubenswächter. Das verlangt das Grundgesetz. „Ich würde diese Lehrerlaubnis am liebsten abschaffen“, sagte aber kürzlich Mouhanad Khorchide, Professor für islamische Religionspädagogik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er hält eine „freiwillige Selbstverpflichtung“ der Lehrkräfte gegenüber muslimischen Stellen für sinnvoller als eine „amtliche Beurteilung“ durch sie.
Die im „Koordinationsrat der Muslime in Deutschland“ (KRM) zusammengeschlossenen Verbände wollen jedoch die „Gesinnungsprüfung“, so Khorchide. „Die Lehrerlaubnis verleiht ihnen mehr Mitspracherecht, mehr Macht.“ Eine ebenso deutliche Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Der Vorsitzende des Koordinationsrats, Bekir Alboga, erklärt gegenüber dieser Zeitung: „Khorchide zerstört die nötige Vertrauensbasis mit uns.“ Aiman Mazyek, ein anderer Verbandssprecher, warnt: „Khorchide redet und schreibt nicht wie ein Islamlehrer.“
Die Professoren bangen um ihre Unabhängigkeit
Also der falsche Mann auf einem bekenntnisgebundenen Lehrstuhl, ein zweiter Fall Kalisch? Der war Khorchides Amtsvorgänger, der vor fünf Jahren auf Druck der Verbände seine Funktion als Verantwortlicher für den islamischen Religionsunterricht aufgeben musste, nachdem er die historische Existenz des Propheten Mohammed geleugnet hatte.
Angesichts der aktuellen Entrüstung über Khorchide reiben sich Sachkenner allerdings die Augen. Was der Religionspädagoge jetzt in ein paar Sätzen meinte, hat sein Erlanger Fachkollege Harry Harun („der Erleuchtete“) Behr schon voriges Jahr in der „Zeitschrift für die Religionslehre des Islam“ ausführlicher begründet. Kurz gesagt, kritisiert Behr die offizielle Lehrerlaubnis (Idschaza) am Beispiel Niedersachsen als Ausdruck von „Misstrauen statt Zutrauen“ in die Hochschulabsolventen. Sie müssen ihre Eignung vor einem „Beirat für den Religionsunterricht“ glaubhaft machen, der sich aus Verbandsfunktionären etwa der Türkisch-Islamischen Union (DITIB) zusammensetzt. Behr spricht von der „Ironie, dass ausgebildete Experten“, seine Schüler, „dabei in die Abhängigkeit von virtuosen Laien geraten“.
An Rhein und Ruhr hängt die Lizenz ganz ähnlich von einem Bewerbungsgespräch vor einem religiösen Gremium beim Schulministerium ab, für Hochschullehrer von einem Beirat an der Uni. Die Kandidaten müssen ihre „religiöse Bindung“ etwa durch eine überzeugende Auslegung von Zitaten aus dem Koran oder anderen Vorschriften nachweisen. Dabei befürchten Khorchide wie Behr schnell Übergriffe in ihr eigenes professorales Revier. In ihrer Selbstverteidigung werden die muslimischen Uni-Theologen allemal von den christlichen Amtskollegen unterstützt. Tatsächlich maßen sich die Kirchen bei ihrer „Unterrichtserlaubnis“ keine Nachprüfung von richtigem Fachwissen an.
Auf Seiten der Verbände reagiert man pikiert
Die tiefe Enttäuschung der islamischen Glaubenswächter über Khorchide hängt nicht zuletzt mit seiner „Absichtserklärung“ zusammen, die er im Jahr 2010 vor der Übernahme in den Hochschuldienst unterschrieben hat. Darin bekennt er sich zu einer „engen Kooperation mit den Verbänden“, ausdrücklich auch mit den Beiräten. Dafür bekam er vom Koordinationsrat der Muslime die erforderliche Lehrerlaubnis.
Allerdings hat der „Konfessionelle Beirat“ in Münster bisher, auch zwei Jahre nach seiner juristischen Geburtsstunde, noch kein einziges Mal getagt, um über Studiengänge, Prüfungsordnungen und weitere Professuren neben derjenigen Khorchides zu befinden. Die zuständige Hochschulleitung hat dazu nicht eingeladen. So läuft der Studienbetrieb faktisch auch ohne den Wächterrat, „vorläufig“ jedenfalls, wie der Münsteraner Jurist und Vater der Beiratsordnung, Janbernd Oebbecke, einschränkt. Das Bundesbildungsministerium unterstützt die Lehre und Forschung mit Zuschüssen in Millionenhöhe.
Indes fühlt sich der KRM um seine Mitsprache im Beirat voll und ganz betrogen. Auf dem Hintergrund brachten Khorchides kritische Bemerkungen zum Thema Lehrerlaubnis nur das Fass zum Überlaufen. Der Publizist Eren Güvercin verzichtete postwendend auf seinen Beiratssitz. Er sagt frustriert: „Für eine juristische Attrappe, die bloß auf dem Papier existiert, stehe ich nicht länger zur Verfügung.“ Noch weiter geht der Verbandsfunktionär Aiman Mazyek. Er fordert jetzt, bis zur Genehmigung durch den Beirat alle Lehrveranstaltungen auszusetzen. Damit findet er in der Universitätsleitung aber kein Gehör.
Die Universitäten wollen die Situation beruhigen
Die Verbände müssen sich ihre Kaltstellung allerdings selber zuschreiben. Es handelt sich um eine Selbstblockade. Vier der acht Münsteraner Beiratssitze kann der KRM selber besetzen. Aber einer ist von Anfang an verwaist, womit es bei nötigen Abstimmungen von vornherein zu verzerrten Ergebnissen käme. Zwei KRM-Kandidaten wurden wegen Zweifeln an ihrer Verfassungstreue vom Staatsschutz abgelehnt. Darin sehen muslimische Vertreter einen ungeheuerlichen Verstoß gegen ihre Religionsfreiheit. Das ist aber in der Zusammenarbeit mit dem Staat ein Irrtum. So müssen auch katholische Bischöfe auf das Grundgesetz schwören. Leitende Beamte der evangelischen Kirche in Deutschland brauchen einen entsprechenden Unbedenklichkeitsnachweis der Innenministerien.
Münster ist offenbar ein Sonderfall. Auch an den vergleichbaren Islamzentren der Universitäten in Erlangen, Osnabrück oder Tübingen werden die Beiratsmitglieder überprüft, ob sie in den Rahmen des Grundgesetzes passen. An diesen Standorten gibt es heute aber anscheinend keine Probleme. In Osnabrück etwa arbeiten Verbands- und Hochschulvertreter schon länger gemeinsam an einem Runden Tisch, auf einer gemeinsamen Basis. Die Universität Erlangen hat sich alle Beiratsmitglieder sogar selber ausgesucht, ohne Einschaltung irgendwelcher Verbände.
Dazu neigt jetzt auch der Münsteraner Universitäts-Senator Gernot Münster. Er sieht im aktuellen Krach ein Indiz, „dass eine sachgerechte Zusammenarbeit mit den Verbänden nicht zustande kommen wird“. Das befürchtete Münster schon immer, bei den Senatsberatungen war er von Anfang an gegen die aktuelle Beiratsordnung gewesen. Für die Zukunft ist er optimistischer: „Zur Zeit denkt man an unserer Universität über eine Überarbeitung nach.“ Nur so kann womöglich auch mancher Streit um Mitsprache und Macht der Verbände einerseits und die wissenschaftliche Freiheit und religiöse Bindung von Hochschullehrern wie Khorchide andererseits beruhigt werden.
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