10.11.2013 · Aus der Schwiegermutter wird für viele Frauen das Schwiegermonster. Dabei könnten die Ehemänner eigentlich sehr gut Einfluss auf den Konflikt nehmen.
Von KATRIN HUMMEL
Als Claudia Sander zehn Jahre nach der Geburt ihrer Tochter wieder anfing zu arbeiten, bekam ihre Tochter auf dem Kindergeburtstag ihres älteren Bruders beim Raufen etwas ins Auge, und das Auge entzündete sich. Da sagte Sanders Schwiegermutter: „Man merkt, dass die Mutter fehlt.“
Das war der Moment, in dem die Beziehung zwischen den beiden Frauen zu kippen begann. Heute ist Sanders Tochter erwachsen. Sander, die als Führungskraft in einem großen Wirtschaftsunternehmen arbeitet und dort die Eskalationsmanagerin für den Vorstand ist, sagt: „Das Einzige, was im Zusammensein mit meiner Schwiegermutter hilft, ist Abstand.“ Den sie aber längst nicht immer wahren kann. Die Schwiegermutter, die in einiger Entfernung lebt, ruft zum Beispiel bevorzugt um 18 Uhr an, weil sie weiß, dass die Sanders dann zu Abend essen. „Mein Mann will sie nicht abwürgen, so dass ich dann allein esse, obwohl ich für uns beide gekocht habe“, erzählt Claudia Sander. Ein Rollenkonflikt sei das: Ihr Mann Wolfgang sei dann nicht Ehemann, sondern folgsamer Sohn, der zu seiner Mutter halte. „Das nutzt sie aus. Und wenn ich mich dann wehre, um mich selbst zu schützen, interpretiert mein Mann das als Angriff auf sich selbst.“
„Wenn es um seine Mutter geht, ist er machtlos“
Schon einige Male ist die Beziehung der Sanders in eine Schieflage geraten, weil die Schwiegermutter ihren Sohn in eine Loyalitätsfalle getrieben hat. Noch heute wirft Wolfgang Sander seiner Frau vor, wie sie in ihrem letzten Urlaub reagiert hat: Die Familie war auf der Suche nach einem Restaurant, in Begleitung der Schwiegermutter und Sanders Schwägerin. Da sagte die Schwiegermutter plötzlich: „Ich kann nicht mehr, und ich habe Hunger.“ Als Sander in eine Bäckerei lief und ihr ein Erdbeertörtchen kaufte, verweigerte sie es mit den Worten: „Das mag ich nicht.“ Sander und ihre Schwägerin teilten es sich daraufhin, und als Sander gerade den letzten Bissen im Mund hatte, meinte die Schwiegermutter: „Ach, jetzt hätte ich auch gern was davon.“ Sander fing an zu weinen und rief: „Jetzt reicht’s mir, das kannst du mit mir nicht machen!“ Ihr Mann aber nahm sie nicht etwa in Schutz, sondern warf ihr vor, sie mache eine Szene. Claudia Sander sagt: „Sie hat mich weggebissen.“
So wie ihr geht es vielen Frauen. Etwa ein Viertel gibt in Untersuchungen an, die Beziehung zur Schwiegermutter sei schlecht. Und nur die Hälfte hat ein gutes Verhältnis zur Mutter ihres Mannes. Das kann die Beziehung zum Partner dauerhaft belasten – selbst wenn beide Partner sich der Situation bewusst sind und über gute Deeskalationsstrategien verfügen. Claudia Sander sagt über ihren Mann, er sei im Job ein guter Konfliktlöser und führe erfolgreich ein großes Team. „Aber wenn es um seine Mutter geht, ist er machtlos. In gewissen Momenten ist er ihr ausgeliefert. Sie spielt ihre Mutterrolle so aus, dass er in ein Dilemma gerät, wen er schützen soll. Obwohl er das erkannt hat, passiert es immer wieder.“
Mutter vs. Ehefrau - ein Kampf um Macht
Dabei können Ehemänner ganz gut Einfluss darauf nehmen, wie groß der Konflikt zwischen Frau und Mutter wird. „Der Mann sollte Position beziehen“, sagt Felicitas Heyne, Psychotherapeutin und Autorin des Buches „Hassgeliebte Schwiegermutter“: „Er sollte seiner Mutter signalisieren: ,Du liebst meine Frau nicht, aber ich. So kann er dem Konflikt die Spitze abbrechen.“ Schwiegermütter können nach Beobachtungen von Heyne immer nur so viel Ärger machen, wie es die eigenen Kinder ihnen erlauben. „Wenn man genau hinschaut, entdeckt man da oft eine latente Allianz zwischen dem Mann und seiner Mutter.“ Wenn die Schwiegermutter zum Beispiel moniere, dass die Schwiegertochter eine schlampige Hausfrau sei, denke der Mann vielleicht: „Mir wär’s auch lieber, wenn meine Hemden gebügelt im Schrank hängen würden. Bei Muttern war’s schöner.“ Die Schwiegermutter fechte dann seinen Kampf mit seiner Ehefrau für ihn aus. „Wenn der Mann seine Frau nicht in Schutz nimmt, liegen bei dem Paar Leichen im Keller. Dann gibt es auf jeden Fall Probleme auf Paarebene“, hat Heyne beobachtet.
Doch auch wenn das Paar wie eine Wand gegen die Schwiegermutter steht, kann die Beziehung zwischen ihr und der Schwiegertochter vergiftet sein. Schwiegermütter hatten nicht umsonst schon immer einen schlechten Ruf. Klassisch ist der Kampf um Macht: wenn die Schwiegermutter durchblicken lässt, dass sie besser weiß, wie die Schwiegertochter die Kinder erziehen und den Sohn versorgen soll. Wenn sie ihr Vorschriften macht und an ihr herumerzieht. Wenn sie besserwisserisch ist. Dann gehen Schwiegertöchter schnell durch die Decke.
„Mischt der Bauer Gift zur Butter, ist sie für die Schwiegermutter“
Vom schlechten Ruf der Schwiegermütter zeugen daher Dutzende Begriffe: Da gibt es etwa den sogenannten Schwiegermutterstuhl – so wird ein dorniger Kugelkaktus genannt. Es gibt den Schwiegermuttersitz – einen aus dem Heck eines Wagens herausklappbaren, unüberdachten Notsitz, wie er für einige Roadster aus den dreißiger Jahren charakteristisch war. Und als „Schwiegermuttergift“ wird im Volksmund das Gift Phosphorsäureester bezeichnet, da es für viele bekannt gewordene Suizide und Morde missbraucht wurde. Auch Bauernweisheiten aus ganz Europa zeugen von der Unbeliebtheit vieler Schwiegermütter. In Deutschland heißt es zum Beispiel: „Mischt der Bauer Gift zur Butter, ist sie für die Schwiegermutter.“ In der Mongolei sagt man: „Gut ist es, wenn die Schwiegereltern fern und Wasser und Brennstoff nahe sind.“ Und in Andalusien: „Lobe den Brunnen, in den deine Schwiegermutter gefallen ist, aber schöpfe kein Wasser daraus.“
Dass die Beziehungen zwischen Schwiegermüttern und Schwiegertöchtern tatsächlich auch früher schon problematisch waren, zeigt die Auswertung alter Kirchenbücher im bäuerlichen Ostfriesland des achtzehnten Jahrhunderts. Eckart Voland, Professor für die Philosophie der Biowissenschaften an der Universität Gießen, konnte durch Untersuchungen an mehreren hundert Familien zweifelsfrei nachweisen, dass Frauen, deren Schwiegermutter im selben Haushalt lebte, mehr Totgeburten hatten als Frauen, bei denen das nicht so war. Voland erklärt das so: „Wen würden Sie nach einem langen Winter das Vieh auf die Weide treiben lassen: Ihre schwangere Tochter oder Ihre schwangere Schwiegertochter?“
Probleme bei Hausmütterchen besonders groß
Aber auch wenn die Kinder lebend geboren wurden, hatte die Anwesenheit der Schwiegermütter noch einen negativen Effekt: Die Lebenserwartung der Kinder – insbesondere der männlichen – war niedriger, als wenn keine Oma oder die leibliche Mutter ihrer Mutter mit im Haus lebte. „Die Schwiegermutter hat sich nicht so gut um die Kinder gekümmert, oder die Schwiegertochter hat die Hilfe bei ihr nicht so angefragt“, erklärt Voland. Heutzutage könne die Zurückhaltung der Schwiegermütter noch ganz andere Ursachen haben. Sie könnten sich schließlich nie ganz sicher sein, ob ihr Enkel das Kind ihres Sohnes ist oder nicht. Mother’s baby, father’s maybe.
Besonders schwierig im Umgang sind oft Schwiegermütter, die den Fokus ihres Lebens sehr stark auf Familie gelegt und wenig andere Interessen haben. „Hausmütterchen, deren Lebenserfolg die Kinder sind. Ohne Hobbys, ohne Beruf“, erklärt die Psychotherapeutin Heyne. Die fühlten sich bedroht, wenn eine junge Frau ins Haus komme und den Sohn wegziehe oder sich abgrenze, weil sie dann dessen Leben nicht mehr mitleben könne. Ganz schwierig werde es, wenn es sich um den einzigen Sohn handele oder die Schwiegermutter verwitwet oder geschieden sei. „Dann kann es handfeste Eifersuchtsszenen geben“, sagt Heyne, „es geht dann darum, wer dem Mann und Sohn wichtiger ist. Das sind Szenen wie zwischen Ehefrau und Geliebter.“ Kämpfe um Zuneigung, Wertschätzung, Zeit und Zuwendung des Mannes beziehungsweise Sohnes.
Schwiegersöhne haben keine Rollenkonflikte
„Verfallt nicht dem Irrglauben, dass sich euer Ehemann zu euch bekennt, wenn erst mal ein Kind, zwei, drei, vier oder fünf da sind. Ein reiner Muttersohn wird sich nie zu euch bekennen, sondern als wichtigste Frau immer nur seine Mutter anerkennen“, warnt Ruth Gall, die selbst lange unter ihrer Schwiegermutter gelitten hat und nun Autorin zahlreicher Bücher zu dem Thema ist. Die Schwiegertöchter, die sich über ihre Homepage an sie gewandt haben, beklagten sich zu 95 Prozent über Überwachung oder Bevormundung, gefolgt von „persönlicher Ablehnung“, übler Nachrede, Einmischen in die Kindererziehung (78 Prozent), Eifersucht der Schwiegermutter (57 Prozent), Dreinreden in die Haushaltsführung und „Besser wissen, was der Sohn braucht“ (48 Prozent). Diese Rangfolge erklärt auch, warum Schwiegersöhne weit weniger Stress mit ihren Schwiegermüttern haben als Schwiegertöchter: Sie haben im Alltag aufgrund der häufig noch klassischen Rollenverteilung weniger Berührungspunkte und keine Rollenkonflikte. „Sie vergleichen sich nicht so wie die Frauen untereinander“, sagt Heyne.
Sonja Römer, eine hübsche, schmale Frau Ende vierzig, ist eine Frau, die sich, wenngleich sie sich nicht mit ihrer Schwiegermutter vergleicht, doch von ihr abgelehnt fühlt. Als sie ihren Mann Hendrik heiratete, hatte Römer bereits ein Kind. Ihre Schwiegermutter ließ sie daher wissen, dass sie sich für ihren einzigen Sohn – einen Arzt – eine andere Frau gewünscht hatte. Römer zieht eine Grußkarte aus ihrer Handtasche, die sie von ihrer Schwiegermutter kürzlich zum Geburtstag bekommen hat. Auf der Vorderseite der Karte ist ein Foto von einem Weg zu sehen, der sich durch einen Herbstwald schlängelt. Daneben steht: „Alles hat seine Zeit: Es gibt eine Zeit der Freude, des Glücks, eine Zeit, sich zu trennen und beisammen zu sein. Eine Zeit der Stille, des Schmerzes, der Trauer und eine Zeit der dankbaren Erinnerung.“ Römer sagt: „Mir ist jede Nächstenliebe verlorengegangen in Bezug auf meine Schwiegermutter.“
Anders als Wolfgang Sander stellt sich Hendrik Römer allerdings bedingungslos auf die Seite seiner Frau, wenn seine Mutter ihre Spielchen spielt. Daher hört Sonja Römer sich recht souverän an, als sie sagt: „Am Anfang unserer Beziehung, da war ich noch verzweifelt, erschüttert, ich dachte: ,Warum liebt sie mich nicht? Aber inzwischen ist es mir egal, denn Hendrik und mich kriegt sie nicht auseinander.“
Hilfreich im Umgang mit bösen Schwiegermüttern ist auch ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein und eine eher geringe Erwartungshaltung, sagt Psychotherapeutin Heyne: „Eine Schwiegertochter sollte nicht enttäuscht sein, wenn sie nicht gleich den roten Teppich ausgerollt kriegt.“ Anders sei das natürlich, wenn die Schwiegermutter schwer übergriffig sei. So wie jene Frau, die während eines Urlaubs der Familie ungefragt alle modern auf dem Boden aufliegenden Vorhänge im Haus ihres Sohnes und ihrer Schwiegertochter gekürzt hatte. Weil das doch praktischer beim Wischen sei.
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